Projektleiter von Gera2025 beschließen vorzeitigen Abbruch des Projekts

 
 

Offener Brief von Maurice de Martin und Tanja Schwarz, Projektleitungsteam von Gera2025?


Der offene Brief wurde in Auszügen in der OTZ veröffentlicht.


Liebe Bürgerinnen und Bürger,


nach reichlicher Überlegung haben wir entschieden, das Projekt Gera2025? vorzeitig abzubrechen. Die Chronik der Ereignisse ist lang und bedarf erst einer sorgfältigen Reflexion- dennoch möchten wir im Folgenden einige Gedanken teilen.


Wir sind angetreten, um mit Ihnen über die Zukunft Geras zu diskutieren und dabei zu reflektieren, ob und wenn ja wie sich die Stadt um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“ bewerben könnte. In unserer Zukunftswerkstatt am Kornmarkt 6 wollten wir mit Ihnen nach dem Unbekannten forschen und im Prozess realistisch-durchdachte, aber auch verrückt-utopische Ideen, Visionen und Modelle einer zukünftigen Stadt entwickeln. Wir haben uns einen intensiven, lebendigen Dialog erhofft, eine Plattform, wo die Stadt über zwei Außenstehende mit sich selbst ins Gespräch kommt und dabei vielleicht überraschende Seiten und ungeahnte Möglichkeiten und Potenziale in sich entdeckt. In unserer Rolle als Künstler (und eben nicht als Stadtplaner, Politiker, Soziologen oder Kulturmanager) wollten wir dazu anregen, mit Phantasie, Humor, Wagemut und vielleicht auch einer gesunden Portion Selbstironie und (Un)Möglichkeitssinn über den Ist-Zustand Geras hinauszuwachsen.


Wir konstatieren hiermit, dass wir mit diesem Vorhaben gescheitert sind.

Zwar hat das Angebot zahlreiche Bürger*innen dazu bewegt, uns aufzusuchen und Ihre Meinung kundzutun - leider haben wir dabei aber lediglich wieder einmal erfahren, was die Geraer an ihrer Stadt als problematisch wahrnehmen.


Die geplante Ideenabgabestelle ist zur Meinungsmülldeponie für Klagen und Frustration, Nörgeleien und Nöte geworden. Wohin jetzt damit?


Man bat uns, den resignierten Stimmen Geras kein allzu großes Gewicht einzuräumen und unser Gehör stattdessen jenen Bürgern zu schenken, die „wirklich etwas zu sagen“ hätten und die Schönheit der Stadt zu schätzen wüssten. Auch diese Stimmen haben uns nicht gerade optimistisch gestimmt. So knüpften die -im Verhältnis spärlichen- zuversichtlichen Inputs, die wir von angeblich zufriedenen Bürgern auffangen konnten, ausschließlich an jenem Positiv-Mantra an, welches ohnehin schon in Politik und Medien verbreitet wird: „Wir haben doch Otto Dix, den Hofwiesenpark, die Höhler und unser schönes Theater!“. Wir fragen uns: Sind das wirklich die Grundmauern einer intakten Stadt? Wir erhofften uns als Prozesskünstler, dass der Dialog bei diesen Fakten erst anfängt und nicht schon aufhört.


Wir stehen vor einem Dilemma. Wir sind nicht angetreten, um der Stadt einen weiteren düsteren Spiegel vorzuhalten. Es sind die Künstler, die für die Gesellschaft träumen, sagt Meret Oppenheim. Gleichzeitig halten wir es für einen Irrweg, Politik, Lokalmedien und die gesellschaftlichen Gewinner in ihrem Bestreben zu bestärken, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Zum jetzigen Zeitpunkt finden wir für diese Verworrenheit keinen angemessenen Umgang.


Wir fragen uns natürlich auch, ob da etwas grundlegend schief gelaufen ist. Das unachtsame Aufgreifen der Kulturhauptstadt-Idee durch die Stadtverwaltung hat bereits vor Beginn des Projekts viel Verwirrung gestiftet. Diese Entwicklung -so hat man uns vermittelt- habe gerade im Kreis der gut situierten Bürger*innen zu viel Misstrauen und Zurückhaltung geführt. Der Rausschmiss aus dem Kunstverein stehe hierfür symptomatisch.


Im Sinne der Prozesskunst offen für den unabsehbaren Lauf der Dinge fanden wir diese Geschehnisse eher spannend als beunruhigend. Wir haben beschlossen, das Projekt dennoch anzugehen und uns erhofft, dass es trotz und vielleicht sogar wegen aller Irrungen und Wirrungen im Vorfeld zu einem interessanten Dialog mit der Bürgerschaft kommen würde.


Dies ist nicht erfolgt und wir können momentan nur mutmaßen, woran das genau liegt.


Wir werden uns jetzt erst einmal zurückziehen, um das Erlebte in angemessener Weise zu reflektieren und nötige Distanz zu gewinnen. Wir benötigen Zeit und Raum, um der Komplexität der Lage gerecht zu werden und uns zu überlegen, wie der Abbruch des Projekts eine Klärung der Situation und damit positive Erkenntnis für alle Beteiligten herbeiführen kann.


Das Projekt Gera 2025? ist für uns hiermit abgeschlossen, sie haben aber weiterhin die Möglichkeit, uns über Email zu kontaktieren. Alle weiteren Inputs werden in unser kommendes Fazit einfließen.


Wir freuen uns über Ihr Feedback und wünschen Ihnen und Ihrer Stadt alles erdenklich Gute!


Maurice de Martin & Tanja Schwarz


PS: Es ist zumeist ein Fehler, die Zustimmung der Experten mit der Zustimmung des Volkes zu verwechseln.

Offener Brief zum Abbruch des Projekts

14.08.17

 
 

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